Aufgrund einer "Computerpanne", so berichtete die taz gestern, sei eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits einen Tag früher als geplant veröffentlicht worden. Stichworte: Kopftuchverbot, Lehrkräfte, Religionsfreiheit. Ein aufmerksamer Journalist habe auf der Website die Meldung entdeckt, die kurz danach wieder "gelöscht" worden sei.
Hierzulande suchen wir ja gern nach Schuldigen. Den hässlichen Begriff "menschliches Versagen" umschifft man galant, indem man eine "Computerpanne" deklariert. Aber mal ehrlich, was hat der Computer da angestellt? Hat er die Firewall runtergefahren?
Nennen wir es doch beim Namen: Es war ein Bedienfehler der Redaktion. Das Bundesverfassungsgericht setzt als Content-Management-System den Government Site Builder ein, der zumindest in der Version 6.0 (vom Oktober 2013) das Feature "(Zeitgesteuerte) Publikation und Depublikation" vorhält. Typischerweise erfordert das zeitgesteuerte Veröffentlichen in einem CMS, dass man entsprechende Einstellungen vornimmt, nämlich z. B. das Veröffentlichungsdatum einträgt.
Das zu übersehen, kann natürlich passieren, wir sind doch alle nur Menschen. Aber manchmal hat ein menschlicher Lapsus eben Auswirkungen, die weitreichend sein können. Jede CMS-Community und alle Dienstleister, die ein CMS aufsetzen, sollten sich fragen, wie sie die Redaktion bei solchen kritischen Tätigkeiten unterstützen können (und nicht nur dabei). Ist im redaktionellen Workflow vorgesehen, dass sensible Inhalte "auf Vorrat" produziert werden, sollte über ein paar Themen sehr konkret gesprochen werden:
- Risikoanalyse: Welche Auswirkungen hat es, wenn Inhalte vorfristig veröffentlicht werden?
- Über welche Kanäle wird der Inhalt in Folge (automatisiert) veröffentlicht? RSS? Hinweis in Social-Media-Kanälen? Newsletter?
- Ist das zeitgesteuerte Veröffentlichen Standard oder die Ausnahme? (Default-Einstellungen)
- Ist ein 4-Augen-Prinzip (Freigabe durch eine andere Person) vorgesehen? Überprüft diese Person auch das Veröffentlichungsdatum?
- Kann als "scheduled" markierter Inhalt - z. B. mittels CSS - im Backend hervorgehoben bzw. anders dargestellt werden?
Und der findige Journalist? Mag sein, dass dieser zufällig die Website besuchte, als der Inhalt vorübergehend öffentlich war. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass dieser den vom Verfassungsgericht vorgehaltenen RSS-Newsfeed abonniert hat. Solche Feeds sind nicht nur dazu gedacht, dass Menschen sie aktiv über einen Feedreader lesen, sondern vor allem dazu, die Inhalte automatisch in beispielsweise Nachrichtenportale (oder auch z. B. Verbandswebsites) einzubinden. Ein Automatismus, den die wenigsten Redaktionen "auf dem Schirm" haben.